Brief an einen jungen Freund

Nun sind Sie schon im vierten Semester und es hat mich sehr gefreut, dass Sie den Kontakt zu mir nie haben abreißen lassen, insbesondere dass Sie mich dieser Tage in meinem Atelier besucht haben, um einmal wieder über unser gemeinsames Anliegen - „die Kunst" - miteinanderzu plaudern. Damals, Sie erinnern sich, vor vier Jahren, als Sie das erste Mal zu mir kamen, waren Sie unglücklich über Ihren Beruf. Sie hatten eine Lehre als Dekorations- und Schriftenmaler begonnen, Sie waren in einem Lehrverhältnis, in einem Vertrag und Sie hatten nur den einen tiefen Wunsch, die Lehre frühzeitig abzubrechen, um möglichst schnell mit einem Kunststudium zu beginnen. Sie zeigten mir Ihre Arbeiten und baten mich um Rat. Ich riet Ihnen: „Machen Sie die Lehre zu Ende, Sie haben dann ein gutes Standbein und können dann mit dem Kunststudium beginnen". Aber Sie beharrten auf Ihrem Entschluss, und ich selbst habe dann meine vorherigen Überlegungen korrigiert, nachdem ich Ihre Mappe durchgesehen hatte und nachdem ich auch von Ihren künstlerischen Arbeiten überzeugt war. Auch haben Sie mich weitgehend davon überzeugt, dass Sie den festen Willen haben, Ihre ganze Kraft in einem Leben für die Kunst einzusetzen. Sie gaben sich auch keinen Illusionen hin. Materiell erwarteten Sie nichts für die Zukunft. Sie waren bereit, auch große persönliche Opfer zu bringen. Was sagte Hugo von Hofmannsthal: „Sind wir nicht am Ärmsten, wo wir am Gesichertsten sind, am reichsten, wo wir am Gefährdetsten sind".

Ihr Lehrvertrag wurde aufgelöst, und Sie wurden dann für zwei Jahre mein Schüler. Ich habe mir Mühe gegeben, Sie sorgfältig und behutsam zugleich auf Ihr Studium in der Kunst vorzubereiten. Jetzt sind Sie von einer großen Unzufriedenheit befallen. Mein lieber Freund, ich muss Ihnen sagen, auch das ist gut. Diese Unzufriedenheit schützt Sie vor Überheblichkeit, vor Selbstzufriedenheit und Mittelmäßigkeit. Das Sich- immer-wieder-in-Frage-stellen ist wichtig und wird Sie vor Überheblichkeiten schützen. Sie müssen auch lernen, aus diesen Erfahrungen positive Schlüsse zu ziehen. Kunst ist und bleibt eine sehr ernste Sache und ich weiß, dass viele Künstler hart ringen, um eine Idee zu verwirklichen. Wobei sie darunter keineswegs verstehen, ein von der Natur gegebenes Vorbild möglichst getreu wiederzugeben. Aus innererSchau sind Sie bestrebt, eine Idee fassbar und gültig zu gestalten. Die Verwandlung der Idee in eine fassbare, einmalige und wesentliche Gestalt ist die schöpferische Tat des Künstlers. Damm sei vor jenen gewarnt, die da behaupten, sie schaffen aus der bloßen Intuition, treten vor die Leinwand ohne zu wissen, was bei ihrem Malen und Zeichnen entsteht. Der Künstler aber hat tausend Hemmungen und Widerstände zu überwinden, bis in jahrzehntelanger Arbeit sein Werk wächst und zur Vollendung kommt. So ist es auch zu erklären, dass bei den bedeutenden Künstlern der Vergangenheit das ganze Schaffen ihrer Glanzzeit um nur wenige Motive kreist. Ehre sei den Künstlern der Gegenwart, die in langer ernster Arbeit ihr Werk schaffen, ganz gleich, ob sie nun der Natur oder der Idee verhaftet sind, und die sich nie eingebildet haben, sie könnten etwas absolut Neues schaffen, sondern wissen, dass alles vorhanden ist; zwar oft verborgen und verschüttet und darauf wartend, wert zu sein, gehoben und zur Erkenntnis gebracht zu werden.