Wie sich alles so ergeben hat
Ich bin 1935 geboren, und wenn ich an meine frühe Kindheit zurückdenke, so gibt es viele schöne Erlebnisse und Erinnerungen. Mein Vater wurde am 7. Mai 1892 geboren und war von Beruf Malermeister, ein Meister alter Schule. Er selbst war der Älteste von fünf Geschwistern. Zu Hause führten sie, wie er mir immer erzählte, ein bescheidenes Leben. Mein Großvater arbeitete wie fast alle Männer des kleinen Ortes Fachbach an der Lahn bei den Drahtwerken Schmitt. Bei Wind und Wetter, Sommer wie Winter, gingen die Männer morgens um fünf Uhr zur Arbeit und kamen erst am späten Abend nach Hause. Meine Großmutter betreute zusätzlich eine kleine Landwirtschaft; eine Kuh, ein paar Ziegen und Hühner, doch von allem gerade nur so viel, dass die Selbstversorgung gewährleistet war. Alle Brüder erlernten ein Handwerk, die Schwester half der Mutter im Haushalt und heiratete nach dem Zweiten Weltkrieg noch sehr jung einen Amerikaner.
Als ich geboren wurde, waren wir, mein drei Jahre älterer Bruder und ich, die Kinder aus der zweiten Ehe meines Vaters. Die erste Ehe mit Hedwig Runge blieb kinderlos. Hedwig Runge starb mit 28 Jahren. Die zweite Ehe mit Maria Rosenbaum führte dann zum Familienglück mit zwei Söhnen. Aber leider war dieses Glück nicht von langer Dauer, denn am 17. April 1936 verstarb meine Mutter. In der Todesanzeige hieß es: Maria Anna Kassung geb. Rosenbaum starb fromm und Gott ergeben nach einem echt christlichen Lebenswandel. Ich war 10 Monate alt und hatte meine Mutter nie richtig kennen gelernt. Mein Vater heiratete dann einige Jahre später zum dritten Mal, und jetzt ging es einzig und allein um eine gute Versorgung seiner Kinder. Meine Stiefmutter wurde dieser Aufgabe gerecht und hat uns liebevoll großgezogen. Ich erzähle dies, weil es meine Kindheit geprägt hat und ich von klein an eine starke Bindung und Beziehung zu meinem Vater hatte. Ich erinnere mich noch gerne an die Empfindungen, die ich hatte, wenn er mich mit in seine Werkstatt nahm. Es zählte immer zu den schönsten Sonntagserlebnissen, wenn ich mit ihm gehen durfte und Zusehen konnte, wie er an der Staffelei Landschaften und mit besonderer Vorliebe Blumenbilder malte. Ich konnte mich dann im Reich der Farben selbst beschäftigen und habe heute noch den Duft der guten Öle und Farben in angenehmer Erinnerung. Man muss wissen, dass die Handwerksmeister dieser Zeit durch ein umfangreiches handwerkliches Können geprägt waren. Darüber hinaus war mein Vater durchaus künstlerisch begabt. Dies spiegelt sich in zahlreichen Ölbildern wider. Wenn ich von einem umfangreichen handwerklichen Können und der Kenntnis und Beherrschung verschiedenster Techniken, Materialien und deren Anwendung spreche, so habe ich hier schon in frühester Kindheit vieles mitbekommen. Ich durfte dabei sein, wenn er seine Ölfarben selbst anrieb und Leimemulsionen oder Bindemittel herstellte. Alles in allem, glaube ich heute, hat dies ganz früh bei mir die Freude an der Farbe und dem Umgang mit ihr hervorgerufen. So gab es überhaupt keine Diskussionen über meinen künftigen Bemf, da zudem ja auch noch eine künstlerische Begabung vorhanden zu sein schien. Es stand einfach in der Volksschule schon fest, dass ich Maler werden würde. Mein zeichnerisches Talent führte so weit, dass ich in der Schule den Kunstunterricht leiten durfte, während unser Lehrer die Hefte korrigierte. Ich erinnere mich genau: Das Thema im Zeichenunterricht war die Kirschernte. Und da es für alle schier unlösbar war, wurde ich an die Tafel gerufen, und ich habe die Szene überzeugend dargestellt. Dies hat mir eine Portion Sympathie eingebracht. Aber leider wurde die schöne Schulzeit getrübt.
Wir schreiben das Jahr 1943, und der Krieg kommt nun in seiner ganzen Schrecklichkeit auch zu uns. Häufig gab es schon vormittags Fliegeralarm und wir mussten dann so manches Mal mit Gasmasken in den Keller. Das war furchtbar, denn man bekam in den Dingern kaum Luft und darüber hinaus stanken sie fürchterlich nach Gummi. Die Nächte waren jedoch noch um einiges schlimmer. Gegen Ende des Krieges mussten wir fast jede Nacht raus aus dem warmen Bett und hinunter in den kalten, feuchten Keller; oft über mehrere Stunden, und über uns war das unheimliche Gebrumme der Bomberverbände. Ich hatte immer große Angst. Wenn dann die Bomben fielen, hörte man plötzlich ein lautes Zischen und Sekunden darauf den Einschlag. Furchterregend, wie der Kellerboden zitterte, die Wände wackelten und aufrissen, der Putz von der Decke fiel! Ich verkroch mich in die Arme meines Vaters. Nach kurzer Zeit war dann alles vorbei und still, die Sirenen gaben Entwarnung, und wir durften wieder in unser Bett. Am nächsten Morgen sahen wir das Unheil. In der direkten Nachbarschaft wurden vier Häuser zerbombt. Übrig waren große rauchende Schutthaufen, auf denen die Menschen nach Verschütteten suchten. Mein Vater war auch dabei, schon die ganze Nacht. Ich erzähle dies, weil ich glaube, dass alles Erlebte, auch das in frühester Kindheit, den Menschen im weiteren Verlauf seines Lebens prägt. Aber später, wenn einige Jahre vergangen sind, bleibt von all dem, Gott sei Dank, nur das Positive übrig. Ich bin mir sicher, dass alles Erlebte gerade den Künstler nicht loslässt. Irgendwann verschmelzen Erlebnisse der Vergangenheit mit denen der Zukunft und finden sich in Bildern wieder. Jedenfalls habe ich diese Erfahrung gemacht. Nun bin ich beim Thema Kunst angekommen und möchte kurz über meine Lehre und die darauf folgende Studienzeit erzählen.
Ich sagte ja schon zu Beginn, dass es keiner Frage bedurfte, was ich einmal werden würde. Es stand fest, Maler. So begann ich 1949 eine Lehre als Schriften- und Dekorationsmaler. Die hier erworbenen Kenntnisse kamen mir in späteren Jahren oft zugute. 1952 schloss ich meine Lehre mit Erfolg ab und begann mit dem Kunststudium in Köln. Vorher gab es eine dreitägige Aufnahmeprüfung. Mein Wunschziel war es, in die Klasse für Graphik und Design von Professor Hussmann aufgenommen zu werden. Aber es kam ganz anders. Nach Auswertung der Prüfungsarbeiten verteilten die Professoren die Schüler gemäß ihrer Begabung in die einzelnen Sparten. Ich wurde nach einstimmigem Beschluss der Klasse der freien Malerei von Professor Vordemberge zugeteilt. Ich nahm es so mit dem Gedanken hin, nach ein oder zwei Semestern zu wechseln. Nun begann eine anstrengende, aber sehr schöne und glückliche Zeit. Anstrengend insofern, als ich täglich mit dem Zug nach Köln fahren musste. Das hieß, jeden Morgen um 6 Uhr aufzustehen und abends, wenn alles normal verlief, erst gegen 21 Uhr wieder zu Hause zu sein. Heute fragt jeder: „Musste das denn sein?" Doch bei uns zu Hause galt die Regel: Das Elternhaus bietet, so lange ihr es in Anspruch nehmen wollt, freie Kost und Logis. Für alles weitere müsst ihr finanziell selbst aufkommen. Somit war das Pendeln für mich die billigste Lösung. Und es hatte wiedemm auch seine Vorteile. Denn es pendelten zur damaligen Zeit viele Studenten besonders nach Bonn. Hier haben sich Freundschaften entwickelt, die heute noch bestehen. Die Kölner Werkschulen hatten nach dem Krieg hervorragende Professoren. Dominikus Böhm, Ludwig Gieß, Elisabeth Treskow, Heinrich Hussmann, ich nenne nur einige, bestimmten das Klima des Hauses, wo trotz absoluter künstlerischer Freiheit Disziplin und Arbeitsmoral gefordert wurden.
Dies war für mich kein Problem, denn ich war das ja gewöhnt. Nun konnte ich mich den ganzen Tag von früh bis spät voll und ganz der Malerei widmen. 1952 war somit das erste Jahr, in dem für mich die ernste und absolute Auseinandersetzung mit der Malerei begann. Ich war von der Schule und der ganzen Atmosphäre begeistert und hatte schon nach einigen Monaten den Gedanken eines Wechsels vollkommen aufgegeben. So verlief ein Semester nach dem anderen erfolgreich. In den Ferien wurde gearbeitet, und hier kam mir meine Lehre zugute, ich erwähnte dies schon zu Anfang. Mein Vater nahm immer großen Anteil an meiner Arbeit und konnte mir besonders in den Ferien gute Jobs vermitteln. Außerdem muss ich sagen, dass er immer das Gespräch mit mir suchte und mir stets das Gefühl vermittelte, dass, was auch immer kommen mochte, ich in ihm einen sicheren und zuverlässigen Rückhalt hatte. Aber leider war dies nicht von langer Dauer. Am 7. Dezember 1956 starb mein Vater.
Ich war gerade 21 Jahre alt geworden, noch in der Ausbildung, und jetzt Vollwaise. Dies war für mich ein sehr herber Verlust. Trotzdem schlug ich mich weiter durch mein Studium und verließ nach zehn Semestern als Meisterschüler von Professor Vordemberge die Kölner Schule. Im gleichen Jahr mietete ich in der Altstadt von Koblenz einen Raum an und richtete hier mein Atelier ein. Der Anfang war sehr schwer. Ich nahm all meinen Mut zusammen und bot eines meiner Bilder der Koblenzer Kunsthandlung Gebr. Meister an. Herr Meister empfing mich recht freundlich, und ich erzählte ihm, dass ich nun hier seit einiger Zeit ein Atelier hätte und erst heute den Mut gefasst hätte, mich ihm einmal vorzustellen. Wir sprachen noch etwas über meine Herkunft und Ausbildung, dann kam er gleich zur Sache und fragte mich nach dem Preis meines Bildes. Ich glaube, es waren 20 DM. Nun war ich überglücklich, den ersten Kontakt mit einer Kunsthandlung hergestelltzu haben und vor allen Dingen, auch ein Bild verkauft zu haben. Dieser Tag war der Beginn einer langen Zusammenarbeit und späteren Freundschaft, die bis zum Tode von Hans Meister auf gegenseitiger Wertschätzung beruhte.
Nach drei Jahren verließ ich die Altstadt und zog in ein modernes Geschäftshaus im Zentrum der Stadt und hatte hier ein wunderschönes Atelier in der letzten Etage, hoch über Koblenz. Bis zu meinem endgültigen Wohnsitz in Bubenheim gab es noch eine Zwischenstation im Künstlerhaus Asterstein. Auch dort habe ich gerne gelebt und gearbeitet, wozu das gute Verhältnis mit anderen Künstlerkollegen sehr beigetragen hat.