Wolf Lepenies: Nachruf auf Heinz Kassung
Ganz früh haben wir zu Heinz aufgeblickt. Das war im Jahre I960, als er uns von oben herab Freude machte - als Karnevalsprinz „Heinz der Maler“, der in Koblenz aus seinem Prunkwagen Kamellen regnen ließ. Bald wurde aus dem Prinzen ein Freund, Heinz heiratete Jutta Schumacher, die älteste Freundin meiner Frau Annette, und mit Jutta schuf er in Bubenheim ein Bubenheim - Christian, Tobias und Stephan, die drei Söhne, waren sein ganzer Stolz.
Zu Heinz haben wir immer aufgeblickt. Das hatte mit zwei Dingen zu tun, in denen er ein Meister war und keine Kompromisse akzeptierte - dem Kochen und der Kunst. Unvergessen, wie streng und ordentlich es zuging, wenn Heinz uns im Hunrück, auf dem Lande besuchte und zum Essen im Freien einlud: Er brachte nicht nur das Fleisch, das Gemüse, die Kartoffeln und den Wein von zu Hause mit, sondern auch seinen eigenen, tragbaren Herd, sämtliche Bestecke - und die zum Braten und Kochen notwendigen Instrumente sowieso. Und bei der Arbeit erklärte er uns Amateuren, was er tat: Jeder Handgriff hatte seine Bedeutung, jedes Lebensmittel fand seine Bestimmung in genau dem richtigen Moment. Für Heinz hatte das gute Leben etwas mit Wissen zu tun. Savoir vivre: Er wusste zu leben.
Und ebenso verhielt es sich mit seiner Kunst. Seine Bilder weckten Sympathie im Betrachter - und waren Objekte höchster malerischer Konzentration, die Form und Farbe zur überzeugenden Stimmigkeit gezwungen hatte. Es war eine Malerei, die sich als Handwerk ernst nahm. Es ging um das Gelingen der malerischen Technik und nicht um die Selbstdarstellung eines Künstlers, der seine Seelenzustände dem Betrachter aufdrängen wollte. Heinz schätzte viele Kollegen - und blickte auf seine eigenen Werken mit nüchterner Begeisterung.
Auch in schweren Zeiten fand Heinz Kassung Halt: in seiner Familie und in seiner Kunst. Als wir ihn zuletzt sahen, waren die beiden Glasfenster, die man jetzt in der Liebfrauenkirche am Koblenzer Plan bewundern kann, gerade fertig geworden. Dort hatte jeder Farbton seine genaue Bestimmung, jeder Glasausschnitt konnte nur diese Form und diese Größe haben. Wenn man die beiden Fenster sieht, deren Wirkung auf eine eigentümliche Weise nicht von der Aussenwelt abhängig zu sein scheint, weil sie ihr eigenes, inneres Licht erzeugen - wenn man diese Fenster betrachtet, denkt man, wie vor vielen Bildern Heinz Kassungs, die in unseren Wohnungen hängen und die wir lieben, an einen beeindruckenden Künstler und guten Freund, einen warmherzigen und liebenswerten Menschen, dessen Fehlen unser eigenes Leben ärmer macht. Aber wir denken auch in diesem Augenblick an Heinz Kassung als einen Menschen, der wusste, wie man leben soll.